22.01.2016 | DAS SPIEL
(de)
GWG II - Großen-Linden IV 9:3
Eine Nacherzählung im Stile von Kafka.
Kapitel eins: Der Schlag
Ohne, dass sie etwas Besonderes dazu getan geschweige denn Talent dazu hätten, wurden Se., Di., De., T., U. und St. zuhause abgeholt und zu einer Sporthalle gefahren.
Kapitel zwei: Das Tor
Am Eingangstor stand ein Wächter. "Dürfen wir herein?" fragten die sechs Verwirrten. "Nein, der Eintritt ist euch verwehrt", antwortete der Wärter. Und sie klagten und sie bettelten, doch der Wärter wollte sie nicht durch das Tor lassen. "Ich bin nicht dazu befugt, euer Anliegen zu bearbeiten", sprach er. Tage vergingen, Wochen, Monate und Jahre. T. verlor gar all seine Haarpracht vor lauter Kummer und Verstörung. Da endlich entdeckte Se. einen Seiteneingang. Sie gingen hindurch und straften den Wärter des Haupttors mit bösen Blicken. "Schade", sagte jener, "das Tor war nur für euch bestimmt. Jetzt werde ich es schließen."
Kapitel drei: Die Halle
"Seid ihr die 4 Tischtennisspieler?" fragte ein Mann im schwarzen Anzug, der einen ausgestopften Hund hinter sich her zog. "Nein, wir sind sechs", antwortete St. "Sechs?" erwiderte der Mann im Anzug erstaunt, "das ist ebenjene Anzahl an Männern, die mir angekündigt wurden." "Aber ihr spracht doch eben von vier Spielern", wandte U. ein. "Ganz recht, wie es in den Akten steht", sagte der Mann im schwarze Anzug, "jetzt muss ich mich aber beeilen, mein Zug fährt in 4 Sekunden." Die sechs Spieler blickten sich fragend an. Als sie sich wieder dem Mann im Anzug zuwandten, war dieser verschwunden. Zurück war nur ein ausgestopter Vogel geblieben. "Oh, ein Rebhuhn", rief ein vorbeilaufender älterer Mann mit tiefer Stirnfurche. Er musste ein Gerber sein, zumindest deutete seine Arbeitskleidung darauf hin. Dann biss der alte Gerber in das Rebhuhn und lachte laut. Sein Lachen hallte im Flur. "Nun geht schnell an die Platten, euer Spiel ist schon fast vorbei", rief er und rannte hinaus, die Watte quoll ihm dabei aus den Mundwinkeln.
Kapitel drei: Die Doppel
Als erste wurden St. und Se. an die Platten gerufen. Ein Satz schien schon gespielt gewesen, ehe sie überhaupt ihren Gegnern die Hände schütteln konnten. Einer von ihnen redetet permanent auf holländisch auf sie ein, der andere aber guckelte die Bälle mit Unterschnitt zurück auf die Platte, die mal aus Stein, mal aus Holz gebaut schien. Eingeschüchtert durch die Ereignisse im Flur retteten St. und Se. einen 3:0-Sieg nach Hause. Als das Spiel zu Ende war, klingelte ein Telefon, das ohne Schnur neben der Nachbarplatte stand. "Mehr schlecht als recht" rief eine verzerrte Stimme, "aber so ist das im Abendspiel".
An Platte zwei mussten sich U. und Di. einer diffusen Masse erwehren. "Was bist du?" fragte Di. verunsichert. "Nennt mich das Material", sagte das Material und eierte den Ball zurück. "Wie können wir dich besiegen?"; fragte U. "Ganz einfach", antwortete das Material, "ihr habt es doch schon". Und die Zähltafel zeigte ein 3:1-Gewinn für Grün-Weiß. "Wie haben wir gewonnen?", fragte erneut U. "Diese Frage werde ich an meinen Vorgesetzten weitergeben, sobald er eure Personalakten durchgesehen hat", antwortete das Material und dematerialisierte sich.
Als drittes Doppel wurden De. und T. ausgewählt. Auch sie erfuhren Merkwürdiges. Als sie die Gegner per Handschlag begrüßen wollten, einer Dürr und einer unbekannt, graulierten diese direkt zum 3:0-Sieg. "Erfolg ist nur eine Form von kapitalistischen Prinzipien", lachten sie und wählten eine Nummer auf dem besagten Telefon. "Es ist für mich", lachte der Dürre, "ich bin dran und wünsche mir viel Glück". Es schien, als würde der Dürre einige Sekunden lauschen. Dann sagte er "Danke" in der Hörer und legte sich flach auf den Rücken.
Kapitel vier: Die Einzel
Se. gewann sein erstes Aufeinandertreffen, verwandelte sich nach vergebenem Matchball gegen einen ruhigen Löwen im fünften Satz und der darauffolgenden Niederlage jedoch in einen Käfer.
Di. wurde vor den Augen der anderen fünf vom Löwen gefressen. Während die fünf seinen Verlust betrauerten, kam er wieder zur Tür herein, sprach davon, sich schwarz geärgert zu haben und besiegte ebendiesen 3:1.
De. fand sein erstes Duell mit 3:1 für ihn entschieden im Spielberichtsbogen vor. "Du warst zu spät", sagte eine alte Frau in der Trauerkleidung einer Witwe, "nun bin ich verwitwet, aber dein Spiel hast du gewonnen. Geh nun wieder an die Platte und überrede den Holländer, auch ein zweites Mal gewinnen zu dürfen. Doch erwähne das Rebhuhn nicht! Er hatte es sehr lieb gewonnen..." Und er ging zu dem Holländer und gewann das Einzel. Und dann beendete er auch das Spiel. Zumindest behauptete das der Polizist, der ihn daraufhin festnahm.
T. versagte in fünf Abschniten, erhielt dafür aber ein Festmahl, das unter dem Zähltisch entdeckt wurde. "Jeder Gaumenschmaus hier steht für eine deiner Sünden", rief der Mann im schwarzen Anzug, "das hat mir vorhin der Zugführer berichtet. Es war eine überaus schöne Fahrt!"
U. hatte Probleme mit Luh. Er stellte deshalb einen Antrag auf Satz fünf. Jedoch sah ihn seither niemand mehr wieder. "Laut unseren aktualisierten Paragraphen bedeutet dies den Sieg für ihn", hielt die Witwe fest. "Aber kann er einfach die Platte verlassen und dennoch siegen?" fragte Luh entgeistert. "Wer verlassen kann, kann auch verschwinden, das war schon immer so. Mit Gewinnen verhält es sich natürlich ähnlich, aber lesen sie dazu die Notizen auf meinen Unterarmen". "Aber dort steht nichts", erwiderte Luh. "Nur für den, der nicht sehen kann", gab die Witwe als Antwort.
St. traf auf den Dürren. Dieser lachte und wollte nicht mehr aufhören. Dann ertönte ein schrilles Geräusch, wie von einer Säge, die einen Lautsprecher durchtrennt. Und dann hatte St. gewonnen. Und der Dürre gratulierte wieder.
Kapitel fünf: Die Zahl
9:3 prangte auf dem Formular, das auf einem Schultisch bereitlag. Da betrat der Mann im schwarzen Anzug zum dritten Mal die Halle. "Ihr wart favorisiert und habt euch doch dafür entschieden, ein Ergebnis herbeizuführen, das auf beiden Seiten durch drei teilbar ist. Da dies gegen die Richtlnien verstößt, seid ihr frei zu gehen. Aber haltet all die Regeln ein, die euch heute gelehrt wurden. Sonst werdet ihr bald vielleicht wieder in der Halle stehen. Und spielen."
----------------------------------
ENDE (für einen ernsthaften Bericht bitte morgen Abend click-tt checken)
schreibt am 22.01.2016 09:48:18: ...lange habe ich gegrübelt, aber nachdem Dennis sich klar für die Deutsche Sprache entschieden hat und man ihm eine gewisse literarische Qualität in o.g. Kurzgeschichte nicht absprechen kann, neigt sich meine Einschätzung zum Positiven. Vorsicht aber, der Grat zum Gipfel ist schmal...
schreibt am 22.01.2016 14:08:18: Bellofesk
schreibt am 22.01.2016 20:44:49: Brillant, DB. Jetzt weiß´ ich wieder, warum ich Kafka schon in der Schule nicht mochte!
D B schreibt am 22.01.2016 20:49:38: @Herbert: Deutsch-tschechische Kultur dürfte doch genau das richtige für dich sein!
@Rest: Wer ganz traditionell die nackten Zahlen sehen möchte: Bericht ist online nun eingegeben. War ein kampfbetontes, aber immer faires Spiel gegen sehr nette Gegner. Wie man es sich wünscht!
schreibt am 23.01.2016 12:44:58: Dennis ein super Bericht, grandios.
schreibt am 24.01.2016 20:05:13: Kann der Literaturpreis auch an HPs und deren Texte gehen?
Kommentarformular
-
User mit Login: Bitte vorher einloggen!!!
Keine Logindaten? Bitte Webmaster kontaktieren.
-
Als Gast: Bitte hier Vorname, Name und Text eingeben.
Diese Kommentarfunktion ist für die Mitglieder des GWG gedacht,
Gastkommentare sind herzlich willkommen.
Ein-Buchstaben-Kürzel sind allerdings für eingeloggte User vorbehalten.
-
Gastkommentare: bitte sich kenntlich machen und den Namen eintragen.
Mindestens drei Buchstaben für den Vornamen und drei Buchstaben für den Nachnamen!
-
Nicht ausgefüllte, nicht ausreichend gekennzeichnete Kommentare werden als Spam betrachtet und gelöscht.
-
Links + http-Adressen sind generell nicht erlaubt!
|
|